Eigentlich wollten Markus und Susanna Nierth an diesem Abend mal nicht in der kleinen Kirche in Tröglitz-Burtschütz am Friedensgebet teilnehmen, sondern den Geburtstag ihrer Tochter feiern. Und doch stehen sie nun inmitten der Kirche und halten sich an den Händen. Die Kirche sei nicht voll, wie Pfarrer Johannes Rohr sagt, sie sei rappelvoll. 250 Tröglitzer sind gekommen. In den vergangenen Wochen waren es immer um die 30. Was die Nierths ihnen dann sagen: „Es hat Morddrohungen gegeben.“ Später bestätigt auch die Polizei, diese Drohungen stünden in einer E-Mail und einem mit der Post geschickten Brief aus der vergangenen Woche. Das Landeskriminalamt hat die Ermittlungen aufgenommen.
Die Kirche in Tröglitz
Nur zwei Tage zuvor sitze ich noch bei ihnen im Wohnzimmer. Es geht um die zurückliegende Woche und den ganzen Rummel, den sein Rücktritt als ehrenamtlicher Bürgermeister von Tröglitz ausgelöst hat und auch um Reaktionen darauf. Nierth spricht im Interview ausschließlich von den positiven Reaktionen. Als ich ihn frage, ob es auch negative gab, sagt er: “Das ist kein Thema, nichts worüber ich im Fernsehen sprechen möchte.“ Als die Kamera aus ist, gibt es Andeutungen, bei denen ich schon ahne, dass da mehr im Busch ist. Warum die Morddrohungen dann zwei Tage später doch öffentlich machen? Zum einen, weil es durchgesickert ist. Jemand, dem sie sich anvertraut hatten, hat nicht dicht gehalten. Die Gerüchteküche fing schon an zu brodeln. Sie wollten nicht, dass ihre Kinder es dann irgendwo aufschnappen. Aber das ist nur das eine. Genauso wichtig ist es ihnen schließlich, diese Strategie von Rechtsextremen öffentlich zu machen.
Morddrohungen werden publik
Die wollen einschüchtern, Angst verbreiten und Andersdenkende klein machen. Die Nierths sind nicht die Ersten, die im Kampf gegen Rechtsextreme bedroht werden. Auch Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper hat Morddrohungen erhalten. Ebenso die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau in Berlin. Vor ihrer Haustür haben Rechtsextreme schon demonstriert. Sie haben das ausgehalten. Sie mussten wohl. Der Unterschied ist: Markus Nierth hat sehr schnell, sehr laut und sehr deutlich gesagt: mit mir nicht! Bevor Rechtsextreme vor seinem privaten Wohnhaus auflaufen und niemand das verhindern kann oder will, trete er lieber zurück. Danach hat so mancher hinter vorgehaltener Hand gemeint, das hätte Nierth doch noch aushalten sollen. Mit dem Rücktritt sei er eingeknickt vor den Neonazis.
Aber immerhin hat er erreicht, dass vor den Häusern oder Wohnungen von Ehrenamtlichen in Sachsen-Anhalt keine Demonstrationen mehr abgehalten werden können. Einen entsprechenden Erlass hat Innenminister Stahlknecht als Reaktion auf den Rücktritt von Markus Nierth sehr schnell verfügt. Er soll den Behörden vor Ort in Zukunft als Entscheidungshilfe dienen. Wie rechtssicher dieser Erlass zum Schutz von ehrenamtlichen Engagierten ist, muss sich erst noch zeigen. Bislang gibt es dazu keine richterliche Entscheidung. Nur für hauptamtlich gewählte Volksvertreter gibt es sie. Gerichte stellten fest: die müssen die Demonstrationen aushalten.
Doch in Tröglitz nimmt der sogenannte Spaziergang, den der NPD-Kreisrat Steffen Thiel angemeldet hat, und der gleichzeitig zum Friedensgebet stattfindet, diesmal eine eigentümliche Route durch Nebenstraßen. Hier hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen, was Markus Nierth in der Kirche gesagt hat. Knapp 180 Teilnehmer versammeln sich auf dem zentralen Platz von Tröglitz, dem Friedensplatz – ausgerechnet. Sie sind gegen die Unterbringung von Asylbewerbern. Auch hier sind weit mehr Menschen als in den vergangenen Wochen dabei. Im Schnitt waren es sonst 70-80. Es sind Einwohner dabei, einige haben sogar ihre Kinder mitgebracht, aber auch Organisatoren von Legida aus Leipzig sowie das bekannte NPD-Personal aus dem Burgenlandkreis.
"Spaziergang" zieht durch Tröglitz
Mit Trillerpfeifen ziehen sie lautstark durch die Straßen. Nach dem Spaziergang gibt es dann eine Kundgebung. Immer wieder greift die Polizei hier ein. Es wird gegen Markus Nierth gewettert. Er habe sie alle als Nazis verunglimpft und das seien sie nicht – heißt es da. Zwar hat er fast schon gebetsmühlenartig immer wieder in den verschiedenen Medien betont, dass Tröglitz eben kein braunes Dorf sei, aber das haben oder wollten sie nicht mitbekommen. Auch Drohungen habe es von Seiten der Spaziergänger gegen Nierth niemals gegeben – wird hier betont. Es geht dann aber auch schnell zur Sache gegen Ausländer. So ist bei einem aus Thüringen angereisten und bekannten Rechtsextremisten die Rede von „begattungsfreudigen Afrikanern“. Natürlich hat auch die „Lügenpresse“ alles wieder ganz falsch dargestellt. Dazu gibt es immer wieder lautstarken Beifall. Mag ja sein, dass nicht jeder der 180 Teilnehmer rechtsextrem ist. Vorbehalte haben sie dennoch bis hin zu einer ausländerfeindlichen Einstellung. So wird unterschieden in Asylbewerber 1. und 2. Klasse. Gegen Kriegsflüchtlinge habe sie ja nichts, sagt eine Frau am offenen Mikrofon, die dürften nach Tröglitz kommen, Sozialschmarotzer dagegen wolle sie hier nicht haben.
Als Demokraten müssen wir es wohl ertragen können, wenn jemand anderer Meinung ist. Nicht jedoch die Art und Weise. Wie wird dieser Konflikt – übrigens nicht nur in Tröglitz – denn ausgetragen? Es wird gegen Schwächere verbal getreten. Wütend wird jedes Vorurteil herausgehauen. Da helfen scheinbar oft auch keine Argumente oder Fakten mehr. Bei allen Sorgen und Nöten fehlt mir da mittlerweile schon das Verständnis. Und: wer wochenlang gemeinsam oder sogar hinter der rechtsextremen NPD herläuft, darf sich nicht wundern, in Verdacht zu geraten, ausländerfeindlich oder gar rechts zu sein.
Deutliches Zeichen gegen Rechts in der Kirche
Viel wichtiger ist jedoch das Zeichen, das immer mehr Tröglitzer beim Friedensgebet gesetzt haben. Es waren so viele dort, wie nie zuvor. Nicht einmal Weihnachten ist die kleine Kirche so voll. Nachdem ihr Mann von den Morddrohungen gesprochen hat, bringt es Susanna Nierth auf den Punkt: „Wir möchten Sie bitten, weiter mitaufzustehen und sich aufzulehnen gegen diesen massiven Druck, der nur eines im Sinn hat: Fremde zu verjagen, sie zu hassen und von uns fernzuhalten. Und ich bin so dankbar, dass Sie alle heute hier sind.“