Von Tanja Ries - 7. April 2015 Das lange Oster-Wochenende ist vorbei. Meine Gedanken sind in den vergangenen Tagen jedoch oft um den Brandanschlag von Tröglitz gekreist. Ich komme nicht zur Ruhe. Immer denke ich an die Situation am Oster-Sonnabend mit Pfarrer Matthias Keilholz auf einer Bank am Friedensplatz von Tröglitz. Wir sitzen da zwischen der Kaufhalle, der Grundschule und dem Parkplatz. In einer Stunde soll hier die Kundgebung gegen den Brandanschlag stattfinden. Noch ist der Platz fast leer. Die Sonne scheint, nur wenige Wolken sind am Himmel. Es könnte ein so schöner Nachmittag sein. Doch in der Nacht zuvor ist das Unfassbare passiert. In das Haus in der Thälmannstrasse, in das in wenigen Wochen 40 Asylbewerber und Flüchtlinge einziehen sollten, ist eingebrochen - und an mehreren Stellen Feuer gelegt worden. Das Dach ist fast vollständig ausgebrannt. Nur wenige Meter vom Friedensplatz entfernt, wo wir nun also sitzen. Einer meiner ersten Gedanken, als ich morgens um halb sechs Uhr die Nachricht per SMS bekam: "Oh Gott, wie soll das denn erst werden, wenn die Flüchtlinge kommen?" Wir reden darüber. Auch Matthias Keilholz hat keine richtige Antwort darauf. Er fürchtet um die Sicherheit der Flüchtlinge. Die Frage, ob Asylbewerber nun tatsächlich in Tröglitz untergebracht werden sollen, sei für ihn nicht mehr so einfach zu beantworten. Aber sich dagegen zu entscheiden, hieße auch die Gegner hätten gewonnen: "Und das geht eigentlich überhaupt nicht." Die Sicherheit der Asylsuchenden müsse aber auch gewährleistet sein. Wie viel Sicherheit braucht Tröglitz? Nur: wie viele zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen braucht es jetzt eigentlich noch in Tröglitz? Der zurückgetretene Bürgermeister Markus Nierth steht schon unter besonderem Schutz. Nach seinem Rücktritt erhielt er Morddrohungen. Ebenso nun auch Landrat Götz Ulrich. Der CDU-Mann hatte am Sonnabend mittags bei einer Pressekonferenz in Halle ebenso wie Ministerpräsident Reiner Haseloff bekräftigt, dass an den Plänen zur Unterbringung der Asylbewerber festgehalten werde. Und jetzt hat auch Ulrich mehrere E-Mails mit Drohungen bekommen."Ich bin persönlich bedroht worden und der Hinweis kam, dass das nicht der letzte Schritt ist." Der Landkreis solle von einer Unterbringung der Flüchtlinge absehen. Für die Kommunalpolitiker sei das eine sehr schwere Situation: "Wir machen uns Sorgen um unsere Familien." Und auch Familie Nierth erhält weiter Drohungen. Bei Facebook berichtet Susanna Nierth, die Ehefrau des ehemaligen Bürgermeisters, dass ihnen nun damit gedroht werde, auch ihr Haus anzuzünden. Sie appelliert an die Tröglitzer, endlich aufzuwachen.Die schweigende Mehrheit? Wovon?Ich glaube, Frau Nierth trifft mit dem Aufwachen genau den wunden Punkt. Denn später am Sonnabend Nachmittag wird der Friedensplatz zwar recht voll sein, 300-350 Menschen kommen, um gegen den Brandanschlag auf die Flüchtlingsunterkunft zu demonstrieren. Sie finden deutliche Worte. Die Botschaft lautet: NEIN zu diesem Verbrechen und plädieren auch für eine Willkommenskultur gegenüber den Flüchtlingen. Nur: dabei sind nicht viele Tröglitzer. Viele kommen aus der Umgebung, manch einer sogar aus Sachsen. Die Riege der Landespolitiker eilt von überall aus Sachsen-Anhalt nach Tröglitz. Der Ministerpräsident, der Innenminister, viele Landtagsabgeordnete. Das ist auch richtig und wichtig, dass sie sich in den Protest einreihen und so ihre Unterstützung zeigen. Aber wo waren die Tröglitzer? Ist es ihnen egal? Sind sie die schweigende Mehrheit? Wovon? Immer wieder wurde von den Asyl-Gegnern in den vergangenen Wochen behauptet, die Mehrheit der Tröglitzer wolle die Asylbewerber und Flüchtlinge nicht - jedenfalls nicht die "Sozialschmarotzer", die sich auf Kosten der Deutschen hier in die soziale Hängematte legen. Belegen können sie das aber nicht. Während der sogenannten "Lichterspaziergänge" an insgesamt neun Sonntagen seit Januar waren im Durchschnitt 60-70 Teilnehmer dabei, sagt die Polizei. Angeführt vom Kreisrat der rechtsextremen NPD. Der Partei, gegen die ein erneutes Verbotsverfahren angestrebt wird. Laut Bundesverfassungsschutzbericht 2012 sind die Zielvorstellungen der NPD aufgrund ihrer "antipluralistischen, ausgrenzenden und antiegalitären Merkmale" unvereinbar "mit den demokratischen und rechtsstaatlichen Wesensmerkmalen des Grundgesetzes".Die ideologischen Positionen der Partei seien demnach "Ausdruck eines geschlossenen rechtsextremistischen Weltbildes". Die NPD verfolgt die Idee einer Volksgemeinschaft. Die Volksgemeinschaft war im Dritten Reich ein propagandistischer Leitbegriff, die Zugehörigkeit abhängig von der Abstammung. Und einem, der dieses politische Weltbild offenbar verfolgt, dem NPD-Kreisrat Steffen Thiel, folgen also Woche für Woche auch "ganz normale, besorgte Bürger". Dessen ungeachtet beschweren sie sich aber regelmäßig darüber, dass sie nun alle als rechtsextrem oder als Nazis bezeichnet werden. Das erinnert auch an die Diskussionen, wie wir sie im Zusammenhang mit Pegida schon erlebt haben. Was früher als rechts galt, ist heute scheinbar vielfach gesellschaftsfähig geworden. Dafür gibt es sogar schon einen Begriff: "Wohnzimmerrassismus"- geprägt von der promovierten Germanistin Simona Brunetti aus Italien an der Technischen Universität Dresden. Frei nach dem Motto: "Das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen." Feuer frei also - im wahrsten Sinne des Wortes - für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?! Auf der Facebook-Seite der "Tröglitzer Gemeinschaft", den Teilnehmern der "Lichterspaziergänge" - also den Asyl-Gegnern, wird am Oster-Sonntag ein Artikel zu dem Brandanschlag der "Deutschen Stimme" gepostet. Sie ist das Presseorgan der NPD und wird von deren Bundesvorstand herausgegeben. Macht ja nüscht, wa?Unter den Demonstranten am Oster-Sonnabend in Tröglitz sind auch wieder Rechte. Einer provoziert mit einem kryptischen Schild, darauf seine Kritik am System. Ich sehe Männer in "Thor Steinar"-Jacken, einer bei Rechtsextremen beliebten Marke. Ein anderer bemerkt mit einem Zwischenruf, es werde alles noch schlimmer kommen. Und irgendwie widerspricht diesem jungen Mann kaum einer. Warum nicht? Sind die Tröglitzer nicht wütend und entsetzt? Ministerpräsident Haseloff ist es. Ich habe ihn Stunden zuvor auf der Pressekonferenz erlebt und selten habe ich ihn so wütend gesehen. Und ich glaube ihm sogar, dass es dabei nicht nur um das schlechte Licht geht, das dieser Brandanschlag auf Sachsen-Anhalt wirft. "Das waren kriminelle Gangster". In der Tat. Die Täter haben in Kauf genommen, dass ein Paar, das noch in dem Haus wohnte, durch das Feuer schlimmstenfalls sogar getötet wird. Ihr Schlafzimmer liegt genau neben dem total abgebrannten Teil des Daches. Hätte die Nachbarin, die die beiden warnte, nur 10 Minuten später geklingelt, wer weiß was dann passiert wäre. Der leitende Oberstaatsanwalt schliesst aus, dass beispielsweise ein Kurzschluss im Zuge der Sanierungsarbeiten in dem Gebäude Ursache für den Brand sein könnte. "Das war definitiv Brandstiftung" sagt Jörg Wilkman. Er spricht von einer gemeingefährlichen Tat. Was sind die Konsequenzen? Doch was wird dieser Wut und auch dem Entsetzen folgen? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen? Landrat Ulrich fordert mehr Hilfe. Konkret will er Hilfen vom Bund. Er kündigte an, alle Bundesminister anzuschreiben und um Hilfe zu bitten. Ein entsprechendes Schreiben an die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles habe er bereits verfasst. Alle Bundespolitiker die sich nach dem Anschlag zu Wort gemeldet hätten, müssten den Kommunen nun auch tatsächlich helfen. Vielleicht hilft ja auch gerade die große, bundesweite, mediale Aufmerksamkeit dabei. Das wäre gut. Nicht nur für Tröglitz. Denn angesichts steigender Zahlen von Asylbewerbern und Flüchtlingen stehen viele Kommunen vor der Herausforderung, sie unterbringen zu müssen. Und nur wenige wollen sie. Zurück zu meinem Gespräch mit Pfarrer Keilholz auf der Bank am Friedensplatz kurz vor der Demonstration. Er sagt, viele würden jetzt auch argumentieren, dass das ja so hätte kommen müssen. Er ist darüber total empört. "Das ist ein Verbrechen. Wie kann nur irgendjemand sagen, ein Verbrechen hätte als Folge auf den ganzen Streit kommen MÜSSEN.?" Finde ich auch. Das ist mit GAR NICHTS zu rechtfertigen. Egal, aus welchem Umfeld die Täter am Ende kommen. Doch das diese Tat politisch motiviert war, schliesst wohl kaum noch jemand aus. Auch der Staatsschutz ist in die Ermittlungen involviert. Ein Reporter-Kollege kommt zu unserem Gespräch dazu und fragt Keilholz, woher er jetzt die Zuversicht, Hoffnung und Kraft für alles weitere in Tröglitz nimmt. Der Pfarrer sagt - natürlich - "Aus Gott". Ich bin christlich erzogen worden, aber vor Jahren aus der Kirche ausgetreten. In diesem Moment wünschte ich, es ginge mir wie ihm.