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Wie der Konzertveranstalter Oliver Malina ein MDR-Team bedroht und beleidigt 

Von Tanja Ries | 5. Juni 2014

Warum mache ich das eigentlich? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt, wenn ich mal wieder am Wochenende bei einer Demonstration, Musik- oder Parteiveranstaltung der Rechtsextremen irgendwo in Sachsen-Anhalt stand und angepöbelt oder angefeindet wurde. Schön ist das nicht, manchmal sogar beängstigend. Aber ich muss da stehen. Ich kann und will mich nicht einschüchtern lassen. Ich will Neonazis etwas entgegensetzen und ihr menschenverachtendes und rassistisches Treiben nicht ungehindert stattfinden lassen.

Ähnlich ging es mir jetzt wieder in Nienhagen. Seit zwei Jahren berichte ich regelmäßig aus dem kleinen Dorf bei Halberstadt. Über die Rechtsrock-Konzerte, die ein Bewohner aus Nienhagen dort regelmäßig veranstaltet und über den wachsenden Widerstand dagegen. Am Dienstag-Abend sind wir also mit der Bürgerinitiative „Nienhagen rechtsrockfrei“ verabredet. Vorher wollen wir noch ein paar Ortsansichten drehen. Als wir unser Auto parken und aussteigen, höre ich schon von hinten Gebrüll: „Ihr könnt Eure Kamera gleich wieder einpacken.“ Wir kümmern uns nicht weiter darum und gehen in die andere Richtung zur Hauptstraße. 

Dann sehe ich aus dem Augenwinkel wie er auf uns zuwalzt dieser große, zutätowierte Mann: Oliver Malina, der Veranstalter der Rechtsrock-Konzerte in Nienhagen. Offenbar stört ihn, dass wir hier drehen, will auf keinen Fall Aufnahmen von sich und seinem Haus (was sein gutes Recht ist). Dabei achtet Malina aber offensichtlich gar nicht darauf, dass die Kamera zunächst überhaupt nicht auf ihn gerichtet ist. Erst als er von hinten auf uns zukommt, drehen wir uns (mit der Kamera) um. Er schubst und pöbelt den Kamera-Mann samt Technik an, droht und beleidigt uns. 

Der Beitrag von MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE 
von Tanja Ries

Respekt für die Bürgerinitiative 

Nach einem heftigen Disput zieht er irgendwann wieder ab. Wir haben diese Szene in unserem Beitrag bei MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE gezeigt. Natürlich. Viele Kollegen haben mir für unseren Mut ihren Respekt gezollt. Aber ehrlich gesagt: Dieser Respekt gehört vielmehr den Menschen, die sich in der Bürgerinitiative „Nienhagen rechtsrockfrei“ engagieren. Sie haben keine Kamera, mit der sie Übergriffe belegen und öffentlich machen können. Die Auseinandersetzung, die der Bündnis-Sprecher Hans-Christian Anders und seine Mitstreiter führen, findet im Verborgenen statt. Und diese Auseinandersetzung gibt es. In einem Dorf mit knapp 400 Bewohnern kann man sich halt schlecht aus dem Weg gehen.

Hans-Christian Anders kenne ich seit gut zwei Jahren – kennengelernt habe ich ihn im Dorfgemeinschaftshaus. Der Verein „Miteinander e.V.“ hatte eingeladen, um einen Dokumentarfilm zu zeigen: „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“, über das konspirative Milieu von Rechtsrockkonzerten in Deutschland. Der Film basiert auf der neunjährigen verdeckten Filmrecherche des Journalisten Thomas Kuban auf Nazi-Konzerten, die die extreme Gewaltbereitschaft und wiederholte Volksverhetzung darstellt. 

Für Hans-Christian Anders war es die Initialzündung. „Genauso erleben wir das hier in Nienhagen“, sagte er damals. Auch der Innenminister war da im Dorfgemeinschaftshaus von Nienhagen. Auch er hat denselben Film gesehen, aber andere Schlüsse gezogen. Sinngemäß meinte Holger Stahlknecht, er könne sich nicht vorstellen, dass bei Konzerten in Nienhagen oder anderswo in Sachsen-Anhalt z.B. der Hitlergruß gezeigt werde, wie in dem Dokumentarfilm, ohne dass die Polizei eingreife.

Die Anzahl der Rechtsrock-Konzerte steigt in Sachsen-Anhalt schon länger. 

Nienhagen seit Jahren Treffpunkt von Rechtsextremen 

Seit Jahren bevölkern Neonazis das idyllische Nienhagen. Über 1.000 Rechtsextreme kommen zu den Konzerten auf die sogenannte „Hopfendarre“. Aus Nienhagen wird Nazihagen. Es herrscht eine Art Ausnahmezustand. Jahrelang haben die Nienhagener das still ertragen. Die Straßen waren leergefegt, Jalousien heruntergelassen, einige fuhren sogar übers Wochenende weg. Doch Hans-Christian Anders wollte das nicht mehr. Und er fand weitere Mitbürger, denen es genauso ging. Seitdem wehren sie sich – hör- und sichtbar. 

Neben ganzen Busladungen mit Neonazis, die dann in den Ort gekarrt werden, gibt es auch immer ein Großaufgebot an Polizei. Krisenstimmung in Nienhagen. Verhindern können sie die rechtsextremen Großveranstaltungen in ihrem Ort nicht. Doch hier wünschen sich einige mehr Rückhalt. Das machte Anders im vergangenen September bei einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss zum Thema deutlich. Nicht nur bei seinen Nachbarn. Er sprach damals von Lippenbekenntnissen der Landesregierung und Behörden. Unterstützung? Aus seiner Sicht Fehlanzeige! Er wünscht sich strengere Auflagen, mehr behördliche und polizeiliche Kontrolle bei den Veranstaltungen und dass Verstöße dann auch geahndet werden. Oliver Malina hat bereits illegale Konzerte veranstaltet oder Auflagen nicht eingehalten. Trotzdem werden seine Rechtsrock-Konzerte immer wieder genehmigt. Und er meldet sie immer wieder an, weil es meist ohne größere Probleme für ihn läuft.

Diesen Eindruck hat man zumindest, wenn man in derselben Anhörung dem Leiter des Ordnungsamtes der Verbandsgemeinde Vorharz zuhört. Er sprach über die gute Zusammenarbeit der Behörde mit der Polizei und dass ein Konzert in Nienhagen noch nie abgebrochen wurde – auch nicht, wenn verbotene oder indizierte Musik gespielt wurde. „Wenn auf einem Konzert, auf dem etwa 20 Titel gespielt werden, ein verbotener Titel vorgetragen wird, werde ich das Konzert nicht auflösen. Darin bin ich mir auch mit der Polizeiführung einig. Wenn es dort allerdings drunter und drüber geht und jedes zweite Lied eine Straftat darstellt, verdichtet sich das natürlich, und dieses Vorkommnis hat auch Folgen für die Zukunft.“ 

Bald das nächste Rechtsrock-Konzert? 

Das hörte sich für mich merkwürdig an. Vor allem als dann noch die Fachjournalistin Andrea Röpke die Strategie der Rechtsrockkonzerte erklärte. Sie werden veranstaltet, um Jugendliche anzulocken. Darüber hinaus soll eine eigene, nationale Gegenkultur gebildet werden. „Ziel ist es eindeutig, eine eigene Lebenswelt mit internen Gesetzen und internen Hierarchien zu schaffen und vor allen Dingen eigene kulturelle Idole zu schaffen.“ Rechtsrock, so Röpkes Einschätzung, ist mittlerweile die Begleitmusik zum Terror. Im Jahr 2011 war auch Holger G. in Nienhagen. Er steht mittlerweile vor Gericht und muss sich als Mittäter im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht in München verantworten. Die Konzerte dienen der Stärkung der NS-Bewegung. Gewaltverherrlichende Texte stacheln an und hebeln Hemmschwellen aus. Rechtsrock ist vertonter Hass.

Und den werden sie womöglich auch in drei Wochen wieder zu hören bekommen. Oliver Malina hat für Ende Juni wieder ein Konzert angemeldet für bis zu 1.300 Besucher. Am selben Tag hat aber auch das Bürgerbündnis ein Straßenfest geplant. Deshalb saßen sie an diesem Dienstagabend zusammen im Dorfgemeinschaftshaus, um das Ganze vorzubereiten. Sie haben viel zu tun und sind eine kleine Truppe, saßen aber mittlerweile mit immerhin 30 Leuten zusammen – anfangs war es nicht einmal eine Handvoll. 

Momentan ist offen, ob das geplante Konzert genehmigt wird. Nicht etwa wegen früherer Verstöße Malinas. Der Zugang zum Gelände wird bereits für eine ebenfalls an dem Tag angemeldete, politische Versammlung des Deutschen Gewerkschaftsbundes beansprucht.

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