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"Schlitzung"

Wulkau | 01. Dezember 2014

Hinter dem Nebel lag 2013 die aufgerissene Landstraße 18. Nebulös war damals auch meine Zukunft.
von Felix Moniac

Meine journalistische Feuertaufe fand am 13. Juni 2013 statt. An diesem Tag, auf einem Feldweg am Rande der L18 zwischen Kamern und Wulkau, habe ich das erste Mal live mit dem Übertragungswagen vom Ort des Geschehens berichtet.

Ein Feldweg am Rand der L18 zwischen Wulkau und Kamern: Genau hier fand meine erste Live-Schalte statt - dort, wo jetzt der MDR-Dienstwagen steht, stand der Übertragungswagen. Die Straße war voll mit Sandsäcken und LKW des THW
von Felix Moniac
Der Ort des Geschehens, das war an diesem Tag jene kleine Landstraße im Elb-Havel-Winkel, die aufgrund des Hochwassers von Soldaten der Bundeswehr durchbrochen wurde, um dem Wasser die Möglichkeit zu geben, abzufließen.


Das Durchbrechen der Straße wurde damals – und würde wahrscheinlich wieder – als „Schlitzen“ bezeichnet. Und während die Menschen im Elb-Havel-Winkel und überall dort, wo in diesen Tagen das Hochwasser Hab und Gut bedrohte, kilometerlange Sandsackwälle aufschichteten, schlitzte die Bundeswehr gefühlt jede Straße nördlich von Fischbeck.

Ebenjene Landstraße 18, die Verbindung zwischen Wulkau und Kamern, war auch der Ort von dem aus Alexander Greiner live für MDR Sachsen-Anhalt Heute berichtete. Während ich allerdings auf der Wulkauer Seite stand, stand Alexander Greiner auf der Kamener. Den Sendungsausschnitt gibt es dankenswerterweise bei Youtube. Ab Sekunde 30 ist die Straße zu erkennen, die damals keine mehr war.

Youtube-Direkt-Schlitzung:

Elbe-Hochwasser 2013 - Straßendurchbruch bei Kamern - 13.06.13 (MDR)
von ElbeVideoR.M. via YouTube

Dem Wasser sollte mit dem Schlitzen die Möglichkeit gegeben werden, in die vorhandenen Polder abzufließen. Die Polder, das waren – und sind noch heute – große, eingedeichte Flächen, in die bei Bedarf, sprich: bei Hochwassergefahr, das überschüssige Wasser abfließen kann.

Im Falle der Flut von 2013 wurde das Wasser allerdings aus der falschen Richtung, nämlich von Süden kommend, nach oben in Richtung Norden gedrückt. Die Polder hatten deshalb an den entscheidenden Stellen keine Eingänge. – Deshalb mussten die Straßen geschlitzt werden.

Heute, im Fast-Winter 2014, war ich wieder dort. Und natürlich wusste ich bereits, dass man dort längst wieder alles in Ordnung gebracht hat. Dennoch: das Gefühl, an genau jener Stelle zu stehen, an der vor etwas mehr als einem Jahr noch das Hochwasser regierte; an jener Stelle an der damals Bundeswehr und Feuerwehr und Bürgerinnen und Bürger und wir vom MDR hin- und herwuselten – angespannt wegen des Wassers – ist irre.

Und ebenso irre ist es, dass heute, eine so kurze Zeit später, einfach nichts mehr an das Hochwasser von 2013 erinnert. Alles aufgeräumt. Als wäre nie etwas gewesen.

Der die L18 kreuzende Trübengraben. Heute Modell für ein idyllisches Landschaftsportrait; 2013 ein die Straße überflutendes Gewässer
von Felix Moniac

Dort, wo einst Dutzende Helfer des Technischen Hilfswerks und Soldaten über Stunden und Stunden eine geschäftige Hektik an den Tag legten, herrscht nun absolute Ruhe.

Sanfte Nebelschwaden hüllen das Land in ein zartes Schweigen. Gespiegelte Bäume im Wasser lassen eher an ein
sagenhaftes Märchen denn an "die Flut" denken
. Der im folgenden Video vor sich hin plätschernde Trübengraben, der jetzt vielleicht dreißig Zentimeter tief ist, drückte 2013 von unten gegen die Straßen- und Fußgängerbrücke:

Heute ein stinklangweiliges Video von einem Bachlauf. Vor gut einem Jahr stand das Wasser bis hoch zur Brücke und darüber.
von Felix Moniac

Was bleibt, ist die Erinnerung an diese Stelle: die L18 zwischen Wulkau und Kamern. Die Erinnerung an einen Feldweg zwischen zwei Dörfern, der für mich immer ganz besonders bleiben wird.

Was bleibt, ist dieses komische, nicht näher zu beschreibende Gefühl, dass gänzlich unspektakuläre Orte eine Geschichte haben können, die für manche Menschen so greifbar ist als würde die Vergangenheit noch halb sichtbar über dem aktuellen Geschehen schweben.

Das ist merkwürdig.

Und
irgendwie auch witzig.



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